Warum große Konzerthallen füllen, wenn man rappelvolle Wohnzimmer haben kann? Der norwegische Künstler Gisle Viken Sunde reist seit anderthalb Jahren mit seinem Wohnwagen durch Deutschland und gibt hier zwischen Bücherregalen und Sofakissen mit seiner Gitarre Konzerte. terzwerk-Autorin Marie Stapel hat mit ihm über seine Heimat, französische Opern und seinen Musikgeschmack gesprochen.
terzwerk: Gisle, du kommst aus dem kleinen Fischerdorf Bud im Nordwesten von Norwegen. Aus der Insider-Perspektive: wie ist es, in so einem Dorf aufzuwachsen?
Gisle Viken Sunde: Es ist die Hölle auf Erden! (lacht) Nein, im Sommer ist es absolut großartig. Die Natur ist fantastisch, aber gleichzeitig ist es ein wirklich langweiliger Ort, weil es so ruhig und friedlich ist. Als Kind ist es natürlich der Himmel auf Erden! Wenn du älter wirst und ein Künstler oder gar ein Musiker bist, dann ist es jedoch kein Ort, an dem du dich entwickeln kannst.
terzwerk: Hat Musik in der Kultur Norwegens denn eine besondere Bedeutung?
Gisle Viken Sunde: Natürlich. Die Fischer haben auf See Shantys und Seemanns-Lieder gesungen, es gibt sehr gute Folkmusik und Volkstänze aus Norwegen. Als ich klein war, haben viele Kinder ein Instrument gelernt. Es gehörte einfach dazu. Ich glaube, Musik hat eine universale Bedeutung für jeden dort.
terzwerk: Wo hast du persönlich deine Leidenschaft für Musik entdeckt?
Gisle Viken Sunde: Mit 15 Jahren hat in mir einfach irgendetwas „klick“ gemacht, als ich Billy Joels „Scenes From an Italian Restaurant“ vom Album „The Stranger“ (1977) gehört habe. Das war zu einer Zeit, in der ich gerade dabei war herauszufinden, wer ich bin und wer ich sein möchte. Und da hat mich die Musik einfach gefunden.
terzwerk: Wo hast du dann gelernt, Gitarre zu spielen und zu singen?
Gisle Viken Sunde: Seit ich ein kleiner Junge war, habe ich schon Klavier- und Gitarrenunterricht genommen. Später auch Gesangsstunden. Aber vieles habe ich mir allein in meinem Zimmer beigebracht. Es war einfach eine natürliche Sache für mich. Musik hat mich wirklich einfach gefunden. Es war eine Leidenschaft. Etwas, von dem ich nicht genug bekommen konnte, selbst wenn ich es versucht habe.
terzwerk: Du spielst hauptsächlich Songs aus den 60ern/70ern in deinen Konzerten. Warum genau diese Periode?
Gisle Viken Sunde: Ich weiß es nicht. (lacht) Vielleicht bin ich einfach ein Freak, eine verrückte Person. Wenn ich einen Musikstil mag, dann bleibe ich dabei.
terzwerk: In einem Interview habe ich gelesen, dass du auch französische Opern magst. Warum ausgerechnet französische Opern?
Gisle Viken Sunde: Weißt du, (lacht) Musik ist so wunderschön, es kommt nicht darauf an, aus welcher Zeit, welcher Sprache oder welchem Genre sie kommt. Sie findet mich einfach und wenn sie mich gefunden hat, dann identifiziere ich mich damit. Es ist so, als ob ich die Songs zu meinen eigenen mache. Selbst wenn ich wie heute in den Konzerten nur Cover spiele, werden alle Songs trotzdem sehr persönlich für mich. Egal ob es Oper, Jazz, Blues, Punk oder Disco ist. Eigentlich singe ich in meinen Konzerten einfach meine Lieblingssongs.
terzwerk: Du sagst, du spielst keine eigenen Songs auf Konzerten. Warum nicht?
Gisle Viken Sunde: Ich möchte hauptsächlich gute Songs spielen, und ob ich sie geschrieben hab oder nicht, interessiert mich dabei nicht. (lacht)
terzwerk: Was sind dann Kriterien, nach denen du entscheidest, welche Songs auf einem Konzert gespielt werden?
Gisle Viken Sunde: Ich muss einen Song lieben und mich damit identifizieren. Viele Leute sagen mir nach meinen Konzerten: „Ich kann sehen, dass du den Song liebst.“ Und so ist es. In meinen Konzerten spiele ich wirklich niemals Ed Sheeran, Justin Bieber oder mache irgendetwas, dass das Publikum hören möchte. Ich mache nur das, was mir gefällt und dann klappt es besser. Heute habe ich zum Beispiel vier norwegische Lieder gesungen. Das Publikum hat nicht ein einziges Wort von dem verstanden, was ich gesungen habe. Aber ich verstehe die Worte, mein Herz versteht sie und dann kann das Publikum quasi mein Herz sehen, weißt du, was ich meine? Es ist, als ob sie mein Herz fühlen können. (lacht)
terzwerk: Du spielst Wohnzimmerkonzerte. Was ist daran so besonders?
Gisle Viken Sunde: Bis jetzt habe ich noch nie in einer großen Konzerthalle gespielt, weil ich eben ein Underground-Star bin. Mir fehlt da der Vergleichswert. (lacht) Aber was ich sehr mag: Wohnzimmerkonzerte sind sehr intim. Das Publikum ist dir sehr nah. Generell ist es sehr kuschelig und nett, sehr bequem, wie eine private Konzertbühne. Ich muss nicht bei einer Bar oder in einer Kneipe fragen, ob ich da spielen kann, weil die Menschen einfach ihre Freunde in ihre Wohnzimmer einladen. Außerdem brauche ich nicht viel Geld, um zu überleben und mit den Konzerten mache ich genug. (lacht) Für mich persönlich gibt es allgemein aber keinen Unterschied zwischen Konzerten in der Öffentlichkeit oder im Privaten.
terzwerk: Wann hast du dich genau dazu entschieden, deiner Heimat Norwegen den Rücken zu kehren und mit deiner Musik umherzuziehen?
Gisle Viken Sunde: Vor anderthalb Jahren habe ich Norwegen verlassen und wohne seitdem in meinem Wohnwagen. Ursprünglich war es mein Ziel, nach Berlin zu gehen und dort eine Gruppe von Leuten zu finden, mit denen ich Musik machen kann. Aber Berlin hat sich als zu groß und zu stressig für mich herausgestellt. Mir hat es dort überhaupt nicht gefallen. Deshalb habe ich die Stadt verlassen und angefangen, auf der Straße zu spielen. Überall, wo ich hingekommen bin, bin ich ein Superstar geworden. Ich war in vielen Zeitungen. In diesen anderthalb Jahren waren es, glaube ich, über 20 Artikel, die über mich geschrieben wurden.
terzwerk: Du warst in nahezu allen deutschen Bundesländern unterwegs. Wie bist du dann in die Wohnzimmer gekommen?
Gisle Viken Sunde: Das ist irgendwie alles nur durch Zufall passiert. Nach den Straßenkonzerten habe ich sehr nette Freunde gefunden, namentlich das Ordnungsamt. Sie waren nicht begeistert, dass ich auf der Straße gespielt hab – was ich auch verstehen kann. In Deutschland ist es nicht erlaubt, ohne Genehmigung mit einem Lautsprecher auf der Straße zu spielen. Trotzdem wollte ich, wo ich bin, für die Menschen Musik machen. Deshalb habe ich dann die Idee gehabt, Wohnzimmerkonzerte zu geben. Bei einer Jamsession, auf der ich gespielt habe, konnte ich einen Fan gewinnen, dem ich dann gesagt habe: „Hey, ich möchte in deinem Wohnzimmer spielen.“ Außerdem habe ich auf den Straßen gespielt und die Leute direkt angesprochen. Eigentlich habe ich mich selbst in ihre Wohnzimmer eingeladen. Vor einem halben Jahr habe ich das Ganze begonnen und seitdem wächst es stetig.
terzwerk: Berlin ist aber doch eigentlich berühmt für seine blühende Musikszene. Warum gefällt es dir dort nicht?
Gisle Viken Sunde: Vielleicht mögen mich die Menschen dort nicht. (lacht) Mein Musikgeschmack entspricht wahrscheinlich – ohne andere Musiker da draußen beleidigen zu wollen – nicht dem der meisten Leute. Ich weiß nicht warum, aber für mich war es dort sehr schwer Freunde zu finden, mit denen ich Musik machen konnte. Ich bin, glaube ich, ein bisschen komisch.
terzwerk: Und wie würdest du dann deinen Musikgeschmack beschreiben?
Gisle Viken Sunde: Ich liebe die Singer-Songwriter der 70er! Mein Musikgeschmack ist wie die Kinder der Beatles. Die Beatles haben viele Künstler inspiriert und dann gab es danach in den 70ern Bands wie die Eagles, die von Bob Dylan beeinflusst wurden. Wenn du Bob Dylan und die Beatles nimmst, die beiden miteinander verschmelzen lässt und zehn Jahre wartest – also von 1965 nach 1975 gehst – dann hast du Künstler wie James Taylor, The Eagles, Steve Miller oder Dan Fogelberg. Ich höre viele amerikanische Künstler, mag die guten alten amerikanischen Klassiker. Stars, die in den 70ern wirklich groß waren, aber jetzt irgendwie in Vergessenheit geraten sind.
Bildcredits:
Beitragsbild: © Gisle Viken Sunde
Hintergrundbild: Brown Wooden Center Table / Photo by Skitterphoto from Pexels
Bild norwegisches Fischerdorf: Hamnøy, Norway / Photo by Yuriy Garnaev on Unsplash