Festival Tagebuch

Foto: Tobias Pappert

Eröffnungskonzert in Dresden
– 25. Juni 2025

Dresden! Endlich bin ich da. Aufgeregt bin ich noch dazu. Hauptstadt für Land und Kultur. Wen werde ich alles kennenlernen? War es ein Fehler mich dieser komisch-traurigen, ja beklemmenden Musik zu stellen? Immerhin sehe ich die designierte Chefdirigentin des WDR-Sinfonieorchesters Marie Jacquot und den gefeierten Professor für Klavier Kirill Gerstein aus nächster Nähe in Frack und Fummel.

Obwohl der Konzertsaal nicht gänzlich besetzt ist, strahlt der Raum aufregende und erwartungsvolle Begeisterung aus. Ich habe eigentlich mehr Angst davor. Und als ob das nicht alles wäre, bewege ich mich zudem unter Journalist*innen. Fachpersonal zur Musikkritik. Auch unter ihnen erregt sich Spannung und Erwartung, da einerseits das eigene Faible, andererseits das anstehende Festival — aus Erfahrung — mit hohen, aber besonders positiven Erwartungen geprägt ist, so sprechen sie die ganze Zeit. Verfalle ich da gerade einer Sekte?!

Klar ist: Es ist eben kein Abonnement-Konzert, welches das Mahl serviert, wie es die Küche auf die Karte schreibt, sondern ein jeder weiß, was er bekommt. Naja, die meisten wohl. Viele scheinen begeistert. Die Frage ist nur, verdirbt diese Selbstsicherheit die notwendige Tension? Noch zweifle ich.

Es folgen Schlaglichter:

Ich erkundige mich aus Selbstschutz nach dem Lokativ. Der jüngst 2012 bis 2017 modernisierte Konzertsaal, der nur zwei Wochen nach Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie, eröffnet wurde. Wie die „Elphi“ ist er bekannt für besondere Akustik. Diese ist sozialistisch angeordnet im Parkett. Der Sozialismus macht mir die Szenerie aller Beteiligten in eben jener Zeit, mit jenen Gefühlen, Nöten und Gedankenwelt, die Schostakowitsch Leben durchzogen präsentabel. Es ist mir alles fremd! Wie schaffen sie die Straßen so sauber zu halten? Die Biographie eines Menschen, der in der Unterdrückung, Hoffnung und Angst Zeugnis seiner Zeit liefert macht mich nachdenklich; Themen, die aus vergangener Zeit, sich dem Jahrhundertabstand eher nähert als der heutigen Zeit rücken mir plötzlich vors Gesicht und sind aktueller denn je:

Schostakowitsch als musikalisch-politisch und gesellschaftliche Referenz wie es war und wie es droht zu werden.

Gleicher Gedanke gilt für das Festival…

Festivaltag 1 – 26. Juni 2025

Foto: Tobias Pappert

Die erste Redaktionssitzung! Nahtlos intensiv, wenn auch etwas verhalten: Was werden wir wie, wann und wo mit wem machen und warum? Basale Fragen von doch eminenter Bedeutung, die am ersten Tag noch nicht in voller Gänze beantwortet werden. Der Journalismus ist eine durchweg multiperspektivische Arbeit mit einem Hang zur Introperspektion: Es ist wichtig die Außenwelt mit der Innenwelt zu vergleichen. Was empfinde ich? Was die anderen? Wie ist die Atmosphäre?

Nachdem ein jeder sich mit Themen, Arbeitsweisen und weiteren Ideen versorgt hat, zerfällt die Gruppe in ein jenes Arbeitsmodell „Journalismus als Konklave und Egotrip“. Eine erlesene Gruppe produziert hinter verschlossenen Türen; der Rest geht selbst seinen Fragen nach.

Es folgen Schlaglichter:

Was erwartet mich in Gohrisch? Welche Menschen werde ich treffen? Wer sind diese Menschen und warum kommen sie her? Wie schaffe ich es diese Gruppendynamik der kulturellen Nische zu durchdringen? Ist das überhaupt notwendig?

Das heutige Programm ist anschließend an den Gedankengang der Eröffnung. Dieses Mal allerdings in diskreter Form. Scheune anstatt (Kultur-)Palast, Quartett, bzw. Quintett anstatt Konzert, Brotzeit anstatt Dinner. Der vorpolitische Raum entfällt. 

Fremde Umgebung, erstickende Hitze und aufgeladene Stimmung. Die Menschen sind dennoch freundlich und mir zugetan. Gleich die ersten Ankömmlinge werden zu Erwartung, Herkunft und Meinung befragt. Unterschiedliche Menschen, gleiche Meinung: Alles toll, Schostakowitsch toll. Ist das der wahre Festivalflair?

Festivaltag 2 – 27. Juni 2025

Morgendliches Frühstück, zweite Redaktionssitzung. Ich fühle mich bereiter. Ich habe schließlich durch gestern etwas mitgebracht und versuche mich dem doch sehr eingekreisten Team zu nähern. Sie alle haben eine Art Modus, welcher mir fremd ist. Ist es deren Studium, deren Auffassung von Musik, der Bezug zum Schreiben? Was hat das mit Schostakowitsch zu tun? Am Tagesende werde ich endlich mehr wissen…

Musikjournalist*innen / Foto: Oliver Killig

Der erste Vortrag heute widmete sich Sofia Gubaidulina, einer slawischen Komponistin der Moderne. Mein erster Höreindruck von dem Mann am Bajan, eine Gattung der Ziehharmonika, wandelt sich schnell in einen Visuellen. Ausdruck als Ersatz für Musik? Es scheint mehr um das Musizieren und die Empfindung über das Instrument zu gehen, als die Melodien. Moderne Musik eben. ABER! Plötzlich entwickelt sich zwischen dem Mann am Bajan und dem Cellisten ein Gespräch, wie ich es nur von meinen Großeltern kenne. Plötzlich wird dieses Befremdliche zu etwas total Vertrautem und ich bemerke eine Regung in mir. Sind das Tränen? Hat das was mit dem Tod der Komponistin oder deren Musik zu tun? Ich glaube, ich hatte gerade einen „Gohrisch“-Moment von dem alle immerzu sprudeln. Aber weinen werde ich nicht!

Festivaltag 3 – 28. Juni 2025

Musikalische Lesung / Foto: Oliver Killig

Wie viel Musik und kulturellen Input kann ein Mensch (v)ertragen? Wie übermannt ein solches Stimmvolumen nicht den eigenen Geist? Der heutige Tag hatte es in sich. Aber Hallo! Eigentlich schrie er nach Schwimmbad oder Strand, aber es ist wieder diese Scheune. Ich bin froh, dass Töne keine Wärme abgeben…so viele Menschen, so viel Tod. Und trotzdem reinigt sich meine Seele von Matinee zu Soiree. Die Gesichter werden bekannter, die Gespräche inniger. Ich brauche trotzdem eine kleine Pause, einen Moment Stille.

Clara und David machen jeweils eine Einführung, wieder Matinee-Soiree und dazwischen gibt es eine Lesung mit Musik. Schostakowitsch ist allgegenwärtig, bekommt nun auch noch eine Stimme und eine Erzählung. Ulrich Noethen, das Gesicht des ersten Programms, wird zu „Schosta“, wie ihn hier alle nennen. So vertraut bin ich aber mit ihm noch nicht. Per Du werden wir nicht sein, auch wenn der Rundgang um seine Bleibe und den Teich, an dem er sein 8. Streichquartett schreibt, sich irgendwie synergetisch anfühlen.

Festivaltag 4 – 29. Juni 2025

Eine Uraufführung, es ist schon die zweite in zwei Tagen; aber die ersten in meinem Leben und sie fassen, nein, durchbohren mein Herz. Mir bleiben kaum Worte, die anfänglichen Sekten-Gedanken und Zweifel sind weg. Ich habe mich dieser Musik würdig gestellt und habe sie, die Menschen des Festivals — egal, ob Komponist*in, Interpret*in oder Besucher*in — kennengelernt. Ja, die Musik geistert mir im Kopf. Ein neues Gefühl, das nun Teil von mir ist.

Dass Rückfahrten anstrengend sind, brauche ich gar nicht erst schreiben…. Irgendwie Zuhause angekommen. Das Thema der Symphonie, diese Streicher… alles quillt mir weiter durch den Kopf. Die Gesichter, Menschen und diese Scheune geistern vor meinen Augen. Es ist wie ein Strudel. „Hier nimm, Rothschild, die Geige für immer…“. Ganz am Ende musste ich doch weinen und denke: Endlich war ich da! In Gohrisch.

Tags in diesem Beitrag

Beitrag jetzt teilen