Teodor Currentzis haut beim ersten Mal um. Klassik zerfließt zwischen seinen Händen zu kecken, angeheizten und obszönen Sperenzchen, eine erfrischende Insel im Diskographiesumpf. Das funktioniert eine Weile, nur, die Begeisterung verebbt exakt in dem Tempo in dem sie gezündet wurde. Bei der Ruhrtriennale ist Currentzis der resident conducter, mit seinem Ensemble MusicAeterna gastiert er vier Wochen in Nordrhein-Westfalen. Heute ist es Zeit für Sinfonisches: auf dem Programm steht das Violinkonzert von Mendelssohn und die Dritte von Brahms.
Mendelssohns Violinkonzert schlagerte sich durch die letzten einhundertdreissig Jahre, das Publikum liebt den Schmalz, meist ersäuft man darin. Aber Currentzis ist nicht nach schlatziger Romantikmaschinerie, auch wenn sich hier stilaufgeblühte Ansichten über romantische Musik einschlawenzeln. Currentzis und MusicAeterna offerieren sich selbst und das Werk als einen einzigen Mob, uniformiert und in jeder Faser neurotisch inszeniert. Das macht Spaß, lässt sich schnell fangen, entgleitet nicht. Die Violinistin Olga Volkova hat einen im Mark verletzten Ton, gläsern und verdammt zerbrechlich. Solistengehabe fehlt zum Glück, es ist ein Dialog mit dem Orchester, sie gehört eigentlich dazu, tritt nur manchmal merklich heraus. Currentzis schlägt die flüssigen Noten zu luftigem Eiweißschaum, der sich ins Gehör spritzt, doch leider zu schnell zerfällt, keine Haftung hat.
Bei Brahms dürfen die Musiker dann endlich wieder ausrasten. Nach zwei Sekunden ist er da, der Blockbuster. Klanglich explodiert die Sinfonie, schraubt sich immer weiter ins Wahnhafte. Bei all dem opulenten Gewumme überhört man beinahe die Malheure der Intonation, Blech und Holz flattern bei den sanften Stellen zu sehr, es dröhnt im Ohr. Aber das Publikum ignoriert das liebend gerne, beim pechschwarzen Dopsball Currentzis, der hüpft, trampelt und hampelt. Das heizt auch das Brahmstempo auf, doppelt so schnell jagen alle durchs Stück. Da träumt es sich schön, man wird illusioniert und nachdem alles an einem vorbeigerauscht ist, hockt man da, mit einem Schlager im Ohr. Großartig behelligt leider nicht.
Ein Abend mit Maestro Currentzis erheitert, entertaint und lässt tief in ein Orchesterinneres blicken. Er ist süchtig nach Riesengesten, braucht sie aber nicht. Schaut man genau hin, reicht ein bitterböser Blick, nur eine Millisekunde lang, und das devote Ensemble duckt sich und ändert schlagartig die Manier. Wie die Probenarbeit aussieht, will man nicht wissen. Die Musik von Currentzis klingt immer anders als das bisher Dagewesene, aber in sich rückbezüglich und gleich. Ist das innere Ohr einigermaßen ausgeprägt, ist vorhersehbar, wie Stücke unter ihm klingen. Das alles ist fein, passt nicht zu jedem Werk, muss aber überleben, als Färbung, als Note.