Schon auf den erster Blick sind die Internationalen Schostakowitsch Tage in Gohrisch ein spezielles Festival. Ein Ort, gefühlt irgendwo im Nirgendwo der sächsischen Schweiz. Als Konzertsaal: eine Scheune. Hier dreht sich drei Tage alles um Schostakowitsch – sein Werk, sein Leben, seine Beziehungen zu anderen Künstler:innen. Den Blick über den Tellerrand der Musik hinaus schaffen Veranstaltungen jenseits des klassischen Konzertformats. Wie ein kleines Topping, der extra Feinschliff oder einfach: das Salz von Gohrisch.
Klar, Konzertformate anders zu denken ist keine Erfindung dieses Festivals. Die Intention, mit der sie anders gedacht werden, ist entscheidend. Wenn es nur darum geht eine andere Verpackung zu finden, wird es schnell zum Selbstzweck. Was nicht heißt, dass das nicht erlaubt wäre oder auch gut funktionieren kann. Das wäre dann aber nicht das Salz, durch das das Programm in Gohrisch noch spannender wird. Es erscheint mehr wie eine thematische Vertiefung, die einen Schritt weiter geht, wo es gerade notwendig erscheint. Die weniger auf Belehrung, als auf Erfahrung setzt. Statt Inhalte in Vorträge oder Programmheft-Texte zu verpacken, werden sie durch verschiedene Kunstformen und weiteren Akteur:innen transportiert.
In diesem Jahr galt einer der inhaltlichen Schwerpunkte der Komponistin Sofia Gubaidulina. Sie stand nicht nur Schostakowitsch selbst, sondern auch dem Festival in Gohrisch nah. Mehrfach hat sie es selbst besucht. Weil sie Anfang des Jahres verstarb, war es den Veranstaltern wichtig, ihr zu Gedenken. Hier kommt wieder das Salz ins Spiel. Statt an sie „nur“ durch die Aufführung ihrer Musik zu erinnern, findet sich im Programm die Veranstaltung „Gesprächskonzert und Film“. Der etwas unscheinbare Titel vereint drei Komponenten: ein moderiertes Gespräch, Musik und eine Filmvorführung. Hier eine kurze Vorstellung der Protagonisten dieser Veranstaltung:
Das Gespräch ist gespickt mit Anekdoten, durch die ein differenziertes Bild von Gubaidulina gezeichnet wird. Ein Bild, das ihre Arbeitsweise genauso widerspiegelt, ihre Persönlichkeit und ihren Umgang mit den Künstler:innen. Erzählungen aus erster Hand, bei denen neben den Informationen auch viele Emotionen mitschwingen. Das schafft Nähe zu ihr und zu den beiden Musikern auf der Bühne. Ihre anschließende Performance von “De profundis” (Bajan) und “In Croce” (Bajan und Cello) ist, im Kontext des vorangegangenen Gesprächs, berührend. Die Musik hätte für sich alleine stehen können und auch das hätte Emotionen erzeugt. Aber die Wirkung der beiden Komponenten gemeinsam, hebt das Gefühl des Erinnerns an eine Komponistin und den Mensch dahinter auf eine andere Ebene.
Der im Anschluss gezeigte Film “Sophia – Ein Violinkonzert für Anne-Sophie Mutter” von Jan Schmidt-Garre ist als visuelle Ergänzung das letzte Puzzlestück. Die geschilderten Erinnerungen an Gubaidulinas Arbeitsweise und ihre Art werden durch den Film illustriert und um einen eigenen Eindruck ihrer Persönlichkeit ergänzt. Er zeigt anhand einer weiteren Musikerin – Anne-Sophie Mutter – was Geringas und Geir im Gespräch über sie berichtet haben. Die Abfolge – Gespräch, Konzert, Film – wirkt rund. Wie die Körner des Salz von Gohrisch.
Film-Trailer
Interview mit Jan Brachmann
Wir haben in dem Gespräch viel darüber gehört, in welcher Beziehung die Musiker David Geringas und Geir Draugsvoll zu Sofia Gubaidulina und ihren Werken standen. Was zeichnet aus Ihrer Sicht die Arbeit der Komponistin besonders aus?
Ich finde David Geringas hat sehr gut beschrieben, was Sofia Gubaidulina auch selbst in dem Film von Jan Schmidt-Garre sagt: die Intuition muss zwar ihren Raum in der Kunst haben, aber Intuition allein reicht nicht aus. Sie braucht immer ein konstruktives Rückgrat. Sie hat mit ganz einfachen Formstrukturen wie dem Kreuz gearbeitet, das eine große Rolle bei ihr spielt. Oder auch mit mathematischen Zahlenreihen, die sowohl Tonhöhen als auch Tondauern bei ihr mitbestimmen. Dazwischen lässt sie aber den Künstler:innen und auch der Musik immer Zeit zum Atmen, obwohl die Episoden dieses Atmenlassens, des Raumgebens und auch der Freiheit sehr genau proportioniert sind. Das zeichnet ihre Arbeit aus. Natürlich ist ihr ganzes Werk religiös inspiriert. Daraus hat sie keinen Hehl gemacht, sobald sie die Sowjetunion verlassen konnte und frei darüber reden durfte. Das ist auch sehr plastisch in ihrer Musik. So wie wir solche Botschaften auch bei Johann Sebastian Bach finden. Das Wesentliche dabei ist, den Menschen in seiner Gottverlassenheit zu zeigen, aber auch die Gnade Gottes, die sich diesem Menschen im Moment der größten Not zuwendet. Das teilt sich einfach mit, wenn man um diese Hintergründe weiß. Man muss gar nicht so viel darüber wissen, weil es plastisch genug ist. Und ich denke, dass diese emotionalen, spirituellen und konstruktiven Aspekte bei ihr in einer sehr guten Balance sind.
Warum passt es gut in den Rahmen des Festivals, ihr zu Gedenken?
Das könnte man sicherlich auf vielen Festivals machen, ihre Musik ist ja weltweit gespielt worden. Die persönliche Beziehung zu Dmitri Schostakowitsch war während ihrer Jugend sehr eng. David Geringas hat im Gespräch auch diesen wunderbaren Satz zitiert, dass Schostakowitsch sie ermuntert, er sogar wörtlich gesagt habe: „Bitte gehen Sie auf Ihrem eigenen falschen Weg weiter.“ Man hatte ihr immer signalisiert, dass sie nicht die Musik schreibt, die das Land und der Sozialismus braucht. Aber wenn er ihr so etwas sagt, ist das schon eine sehr sympathische und ironische Ermutigung. Sofia Gubaidulina war selbst mehrfach beim Festival in Gohrisch. Zwei ihrer Werke sind hier uraufgeführt worden. Daher empfinde ich es als angemessen in diesem Rahmen an sie zu erinnern.
Von der jahrzehntelangen gemeinsamen Geschichte von Geringas und Draugsvoll mit Gubaidulina konnten die Zuhörer:innen bei unserem Gespräch heute sicher schöpfen. Diese Erzählungen gehen mit in deren Interpretation der Musik ein und leben dadurch fort. Ich finde gut, dass sie ein hier Podium bekommen haben, um das zu zeigen.
Sie haben gemeinsam mit David Geringas ein Buch geschrieben, in dem sich ein Kapitel um seine Zusammenarbeit mit Sofia Gubaidulina dreht. Was hat Sie aus seinen Erzählungen über diese Zusammenarbeit am meisten beeindruckt oder bewegt?
Erst einmal die spontane persönliche Sympathie, die die beiden hatten. Sie trafen sich 1986 zum ersten Mal beim Kammermusikfest „Lockenhaus“ und er war sofort hingerissen von ihrer Ausstrahlung, von ihrer Herzlichkeit, Frische, Neugier und Experimentierlust. Aber auch sowohl von der Nahbarkeit, als auch ihrem Ehrgeiz. Wie David Geringas mir erzählt hat, ist sie, anders als andere Komponist:innen, auf den Interpreten oder die Interpretin eingegangen und sagte: „Wenn du sagst es funktioniert so nicht oder du machst dich lächerlich auf der Bühne dabei, dann versuchen wir einen anderen Weg zu finden, um die Aussage, die ich transportieren will, für dich und das Instrument möglich zu machen.“
Warum ist der Film die passende Ergänzung, um einen ganzheitlichen Blick auf das Werk der Komponistin zu kriegen?
Da wären viele andere Ergänzungen sicherlich möglich gewesen. Es gibt ja auch Interviews oder Videos mit Sofia Gubaidulina, die man hätte zeigen können. Es ist aber keine falsche Entscheidung, weil der Film sehr gelungen ist. Jan Schmidt-Garre ist ein Regisseur, der sehr viel von Musik versteht und großartige Musikfilme gemacht hat. Zum Beispiel zuletzt den wunderbaren Film „Die Alchemie des Klaviers“ (verlinken zum Trailer) mit Francesco Piemontesi. Das sind wunderbare, gelungene Musikfilme, die auch visuell dem Schaffensprozess sehr gut nachspüren können. Was man in diesem Film sehr gut sieht, sind die Partituren von Sofia Gubaidulina. Sie malt mit verschiedenen farbigen Filzstiften Vorgänge auf, die für unterschiedliche Parteien der Aufführung unterschiedliche Wichtigkeit haben. Für den Dirigenten ist etwas anderes bestimmt als für den Solisten, aber sie braucht immer die Übersicht. Sie als Komponistin muss das Werk als Ganzes vor sich haben. Insofern ist das auch visuell eine gute Ergänzung. In dem Gespräch haben wir viel über sie erzählt, dann wir haben ihre Musik gehört, aber die kompositorische Arbeit und den Schaffensprozess zu visualisieren, gelingt dem Film ganz gut.
Herzlichen Dank für das Gespräch.