Crossover-Künstler versuchen klassische Musik einer neuen Zielgruppe zugänglich und schmackhaft zu machen: Wieviel von der ominösen “Klassik” letztendlich noch beim Zuhörer ankommt, ist dabei ganz unterschiedlich:
Während Crossover-Phänomen David Garrett ja auch als ein reiner Klassik-Künstler auftritt und immer wieder ganz „normal“ mit Orchester und Dirigent musiziert, stehen andere schon bereit, um auf der Crossover-Erfolgswelle mitgeschwemmt zu werden. Einer davon ist „The Dark Tenor“, ein ehemaliger Sängerknabe aus dem Dresdner Kreuzchor, der mit seinem Programm „Symphony of Light“ gerade durch mittelgroße deutsche Hallen tourt.
Foto: Thomas Nitz
Und da es heutzutage gar nicht mehr so einfach ist, mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen, hat der mysteriöse Sänger gleich einen 15-minütigen Film in Hochglanzoptik produziert, um seine Motive, sein Outfit und überhaupt alles zu erklären.
Ein cineastisches Meisterwerk mit philosophischem Anspruch, das eine große Bandbreite an Zielgruppen glücklich macht: Fans von Mittelaltermärkten, Fans von Krankenhausserien und Fans von nackten (zensierten) Brüsten. Für jeden ist etwas dabei, nur nicht für Musikfans. Aber das Alles ist auch nur der Prolog zum Musikwunder „Dark Tenor“. Der hat nämlich bei der Rettungsaktion aus dem brennenden Haus (wenn das obige Video so zu verstehen ist) nicht nur eine eklige Brandwunde, sondern auch bleibende „Anregungen“ davongetragen: Seitdem beglückt er die Musikwelt mit Neuinterpretationen klassischer Evergreens in einer kruden Mischung aus Rock, Filmmusik und Schlager.
Geradezu erdrückend sind seine Arrangements, seine Bühnenshow dagegen ist eher zurückhaltend gestaltet, mit geradezu dezentem Einsatz von Kunstnebelfontänen, dafür aber mit Kinderchor und fahnenschwenkenden Rittern. Ein Spektakel für die ganze Familie, ein Kostümfest zum Fremdschämen. Die Stimme des „Dark Tenor“ bleibt dabei nicht im Gedächtnis weil sie besonders dunkel und voll wäre: Sie bleibt überhaupt nicht im Gedächtnis.
Soviel zu Beethoven. Aber auch Meisterwerke der Musikgeschichte, die, wohl in weiser Voraussicht, gar keine Gesangsstimme beinhalten, sind nicht sicher vor den Arrangementkünsten des maskierten Kapuzenträgers.
Ob Schubert, Smetana oder Mozart. Sie alle werden aufgebläht, mit industriellen Beats versehen und bis zur Unkenntlichkeit benutzt.
In einem dunklen Winkel seines Gewissens scheint „The Dark Tenor“ aber auch noch ein bisschen Schamgefühl zu besitzen. Wie anders lässt sich sonst der Einsatz des Künstlers für mehr oder weniger vergessene Meisterwerke der Klassik verstehen?
Denn während sich der dunkle Ritter abends munter durch die Musikgeschichte schändet, betreibt er im wahren Leben die Facebookseite „Klassik ist geil“ und postet Klassik-Youtubeclips. Die versieht er mit Teasertexten, deren Stil an eine Mischung aus WC-Reinigerwerbung und lustlosem Wikipedia-Eintrag erinnert. Aber immerhin: Ein Lichtblick in der dunklen Crossoverwelt des „Dark Tenor“.