Blasorchester-Klischees & wo sie zu finden sind

„Und wo spielst du so?“ – eine Frage, die Musiker oft zu hören bekommen. Klar, es besteht Interesse, in welchen musikalischen Bereichen der Andere so unterwegs ist. Viele Musiker suchen auf diesem Wege sogar Inspiration für neue Projekte.
Eine Antwort, die in diesem Falle allerdings abschreckt, lautet: „Unter anderem in symphonischen Blasorchestern.“ Fragende Blicke und ein kurzer Moment des Schweigens sind die Reaktion.

Ich bin ehrlich. Noch vor ein paar Jahren hätte ich selbst nicht so wirklich gewusst, was ich mit dieser Antwort anfangen soll. Symphonische Blasorchester – was soll das sein? Spielen die nicht nur Märsche auf Schützenfesten?
Sicher, auch solche Orchester gibt es. Und das ist auch das erste Bild, was einem in den Sinn kommt, wenn man das Wort „Blasorchester“ hört. Blaskapellen der Schützenvereine, die mit Marschgabeln an ihren Instrumenten und einer Uniform durch die Städte marschieren.

Foto: Marco Verch / flickr.com / CC BY 2.0

Symphonische Blasorchester hingegen bedienen ihre ganze eigene Form von Musik. Der Aufbau unterscheidet sich gar nicht so gravierend von dem eines Symphonieorchesters. Die Aufgabe der Streicher wird hier ebenso von den Bläsern übernommen. Dadurch wird die Bläserbesetzung wesentlich vielfältiger und es finden Instrumentengruppen Platz, die in Symphonieorchestern nur vereinzelt oder selten zu finden sind. Dazu gehören beispielsweise Saxophone, Euphonien und Es-Klarinetten. Die Besetzung ist bei traditionellen Blaskapellen wesentlich kleiner und überschaubarer.

Auch das Repertoire unterscheidet sich ungemein. Während es die Aufgabe von Blaskapellen ist, möglichst viel Traditionelles und umgangssprachliche „Uff-ta-ta“-Musik zu spielen, gibt es viele Original-Kompositionen für symphonisches Blasorchester von renommierten Komponisten. Ganze Gesamtwerke, die Symphonien für Symphonieorchester in nichts nachstehen.

“Diese Sinfonie ist das Werk mit dem größten Kräfteverschleiß, das ich je komponiert habe” – James Barnes

Stellvertretend hierfür steht die dritte Symphonie („Die Tragische“) op. 89 von James Barnes. Diese Symphonie gehört zum Standardrepertoire für diese Besetzung und erfordert neben flinken Fingern und einer schnellen Zunge ein hohes musikalisches Verständnis.
Die Symphonie trägt den Beinamen „Die Tragische“. Diesen erhielt sie, da sich Barnes zu der Zeit des Komponierens in einer tiefen Trauerphase befand. Seine Tochter war gerade im Kleinkindalter gestorben.
Die Symphonie besteht klassisch aus vier Sätzen, die sich in ihren Charakteren jedoch sehr unterscheiden. Während aus dem ersten Satz Barnes’ Bitterkeit über den Tod seiner Tochter spricht, begegnet er diesem im zweiten Satz wesentlich spöttischer. Dies verdeutlicht er durch schnelle Achtelbewegungen und zum Teil dissonanten Harmonien. Der dritte Satz dagegen ist direkt seiner Tochter gewidmet. Mit melancholischen Melodieverläufen, die solistisch durch Oboen, Saxophone und Hörner wandern, stellt Barnes eine Welt dar, wie sie gewesen wäre, wenn seine Tochter noch weiterleben würde. Der vierte Satz dagegen klingt nach der gefundenen Rettung. Die nach vorne treibende Melodie verdeutlicht, dass Barnes neue Hoffnung schöpft.

Doch auch Arrangements von Werken, die ursprünglich für eine klassische Symphonieorchester-Besetzung gedacht waren, stehen oft ihrem Original in nichts nach.
Ein Beispiel hierfür ist „Elsas Prozession zu der Kathedrale“ aus der Oper „Lohengrin“ von Richard Wagner. Das Original für Symphonieorchester beginnt ausschließlich mit Holzbläsern und steigert sich durch fortlaufende Einsätze von Instrumentengruppen und schließlich den Streichern, sowie dem Chor zum fortefortissimo. Bei dem Arrangement für ein Symphonisches Blasorchester dagegen wird diese Steigerung einzig und allein durch nach und nach einsetzende Bläser erzeugt. Dabei entsteht jedoch mindestens ein genauso intensiver Klangteppich wie mit Chor und Streichern.
Wie kann das sein, dass etwas genauso leidenschaftlich wirkt, obwohl Streicher und Chor auf einmal fehlen? Genau das ist die Kunst eines guten Arrangements. Durch die zahlreichen unterschiedlichen Bläser stehen nicht weniger Ressourcen zur Verfügung – sie sind einfach nur anders verteilt. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie man sie richtig einzusetzen hat, um mit den vorhandenen Instrumenten eine eigene Ausdrucksform entwickeln zu können.

Aufgrund dieser Unterschiede bezüglich Besetzung und Repertoire sollte zu erwarten sein, dass Blaskapellen und symphonische Blasorchester unterschieden werden können. Leider passiert das trotzdem nicht. Doch was ist der eigentliche Grund dafür? Alle Blasorchester werden in einen großen Topf geworfen. Doch symphonische Blasorchester haben andere Ausdrucksmöglichkeiten, die eine Blaskapelle bei Weitem nicht bieten kann. Dabei soll es gar nicht darum gehen, wer besser oder wer schlechter ist. Jede Besetzungsmöglichkeit hat ihre Stärken und Schwächen.

Foto: Felipe Espinosa Wang

Es ist notwendig, dass der besondere Gesamtklang viel mehr öffentliches Interesse erhält. Denn symphonische Blasorchester werden in unserer Gesellschaft deutlich unterschätzt. Nur selten spielen Blasorchester in großen Konzertsälen. Die Begründung: es lohnt sich nicht, ihr könnt den Saal nicht füllen. Ganz ehrlich, diesen Gedanken kann man keinem verübeln.

Doch was tun Blasorchester, um sich gegen dieses Klischee zu wehren. Wo bleibt die Motivation, sich in der Öffentlichkeit wirklich von Blaskapellen abgrenzen zu wollen?
Es gibt so viele Möglichkeiten, der Gesellschaft symphonische Blasmusik nahezubringen. Allein mehr Werbung könnte zum Ziel führen. Das fehlende Wissen über die Existenz von Blasorchestern führt die Menschen sicherlich nicht zu den Konzerten.
Außerdem ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass eben nicht nur Märsche und Volkslieder auf dem Programm stehen. Für die Besetzung gibt es viel Originalrepertoire, doch geworben wird meist mit Arrangements von Stücken, die die Leute kennen. Das Wort „Arrangement“ weckt jedoch einen bitteren Beigeschmack von zweiter Klasse. Arrangement – das kann ja nicht so gut sein wie das Original.

Doch genau das Live-Erlebnis im Konzerthaus ist ausschlaggebend dafür, dass der Unterschied von symphonischen Blasorchestern zu Blaskapellen wahrgenommen werden kann.

Annäherung von Gesellschaft und Blasorchestern

Gesellschaft und Blasorchester müssen aufeinander zugehen. Und das passiert nur, wenn ein Interesse auf beiden Seiten besteht, symphonische Blasorchester als eigenständige Sparte wahrzunehmen. Dies geschieht jedoch nicht von allein. Es muss der Wille da sein, etwas für das angeschlagene Image zu tun und die Menschen für sich zu begeistern. Denn eins kann ich versichern – symphonische Blasorchester verdienen es, gehört zu werden.

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