Anne-Sophie Mutter spielt Bach, Vivaldi und Premieren von Penderecki und Previn beim diesjährigen Edinburgh International Festival
Der vermeintliche Star des Abends in Edinburghs Usher Hall war auf der Eintrittskarte nicht zu übersehen: “Vivaldi’s Four Season” prangte dort in großen Lettern. Der andere Star, in dessen Zeichen der Abend stand, fand sich dort nicht einmal erwähnt: Anne-Sophie Mutter. Dafür war diese extrem großflächig auf der Außenseite der Usher Hall plakatiert. Die Inszenierung als Best-of-Event Klassischer Musik war überdeutlich: Meisterwerk und Meisterinterpretin, gemeinsam im House of Andrew Usher, dem lokalen Whiskymogul und Andrew Carnegie von Edinburgh, der den Bau von Schottlands wohl wichtigster Konzertstätte für Klassische Musik einst im ausgehenden 19. Jahrhundert finanzierte.
Das “Edinburgh International Festival” findet seit 1947 alljährlich in Schottlands Hauptstadt statt. Der Akzent liegt auf Klassischer Musik, Theater, Opera und Tanz. Für drei Wochen ist es Teil des “Edinburgh Festival”. Dieses stellt den kulturellen Höhepunkt des Sommers in Großbritanniens Norden dar. Zeitgleich finden unter diesem Dach u.a. der “Edinburgh Festival Fringe” mit Schwerpunkt auf Straßenkunst, Kabarett und Populärkultur und das “Royal Edinburgh Military Tattoo” statt. In diesem Ineinander von E und U liegt ein besonderer Reiz der drei Festivalwochen. Das Gesamtangebot an Kulturveranstaltungen jeglicher Couleur ist beeindruckend in Vielseitigkeit, Niveau und Internationalität. Entsprechend birst die Altstadt vor Besuchern. Und so auch am 25. August die ausverkaufte Usher Hall zum Best-of-Klassik-Event von classic fm, Großbritanniens Pendant zum deutschen Klassikradio.
Es zeichnet Mutter aus, dass sich ihr Wirken in dieser Inszenierung nicht erschöpft. Nicht nur eine Virtuosin von internationalem Rang, engagiert sie sich seit langem mit Zeit und Geld in der Förderung von Nachwuchs und zeitgenössischer Musik. Beides prägte auch diesen Abend. Die Mutter Virtuosi, das Ensemble, mit dem sie in Edinburgh antrat, besteht aus aktuellen und ehemaligen Stipendiaten ihrer Stiftung. Zudem waren zwei der vier Programmpunkte Auftragswerke Mutters: Krzysztof Pendereckis Duo Concertante für Violine und Kontrabass und André Previns Nonet für zwei Streichquartette und Kontrabass, Aufträge dezidiert zur Aufführung durch Mutter und ihre Schüler bestimmt. Penderecki und Previn sind beides langjährige künstlerische Partner Mutters. Eine ganze Reihe Kompositionen, darunter drei Violinkonzerte und zwei Violinsonaten, verdankten ihre Entstehung bereits diesen Verbindungen.
Auf den Plakaten vor der Usher Hall fehlte freilich der Hinweis auf Pendereckis Duo Concertante für Violine und Kontrabass noch. Dabei war es ein mutiger, lohnender Start in ein Programm, in dem den Vor- und Pausengesprächen nach zu urteilen die allermeisten auf Vivaldi warteten. Roman Patkoló, der zur Eröffnung mit Mutter Pendereckis Duo Concertante für Violine und Kontrabass gab, ist ein ausgemachter Kontrabassvirtuose. Das Duo Concertante erlebte an diesem Abend seine Großbritannienpremiere (UA 2011). Ein in seiner kontrapunktischen Anlage bewundernswertes Kleinod, durchaus virtuos, aber vor allem klanglich erstaunlich dicht angesichts der beiden, schon in ihren Lagen einigermaßen distanzierten Duoparts, und motivisch auffallend prägnant trotz einer vorherrschend dissonanten Schreibweise.
Previns Nonet, die Uraufführung des Abends, steht in der Besetzung gleichfalls außerhalb gängiger Gattungstraditionen mit stehenden Ensembles. In seiner guten Viertelstunde Aufführungsdauer ist es dafür ganz typischer Previn: Rhythmisch und metrisch vital. Mit einer eklektizistischen Harmonik, die expressionistische Gesten ebenso kennt wie unverstellte klassische Kadenzen und spätromantische Klangfarben. Virtuose Ensemblebeherrschung verbindet sich mit gelegentlichen Assoziationen an Jazz und symphonische Filmmusik. Previn schreibt Werke, die das Schroffe so wenig scheuen wie das Schöne, immer etwas gehetzt wirkend, denen es einzig ein wenig an melodischer Prägnanz fehlt. Besonders elegant ist dafür manch klangliche Gestaltung, z.B. des Schluss des langsamen Mittelsatzes des neuen dreisätzigen Werks über einen Orgelpunkt auf cis. Den transparent gehaltenen Passagen des Nonet kam die Kammerbesetzung zu gute. Andere, voll gesetzte Abschnitte würde man zum Vergleich gerne einmal von vollem Streichorchester hören. Ihre Wirkung könnte dann möglicherweise noch größer sein, wie man es von manchen Teilen von Arnold Schönbergs eigener Streichorchesterfassung seines Sextetts Verklärte Nacht kennt. Strukturell am auffallendsten war das stete Wechselspiel in der Beteiligung der neun, im Halbkreis aufgestellten Streicher, die im Nonet in immer neuen Kombinationen eingesetzt sind. Keineswegs handelt es sich dagegen um ein verkapptes Violinkonzert en miniature. Im Frühjahr 2016 wird es in Deutschland die Chance geben, Previns Nonet kennenzulernen. Auf der Website von Previns Verlag Schirmer kann schon jetzt jeder einen Blick in die Partitur werfen, die dort vollständig zur Ansicht bereitgehalten wird.
Mutter stand in Edinburgh in knalligem Rosa in der Mitte ihres ganz in schwarz gehalten jungen Ensembles. Manch kleines Balanceproblem korrigierte sie mit einer Drehung hier und einem Blick dort. Vor allem fiel aber die Lockerheit in der Runde auf. Es wurde viel gelächelt, auch während des Spiels, dessen Ensembleniveau durchweg hoch war. Wenn während Bachs Konzert für zwei Violinen d-Moll BWV 1043, das abweichend zum gedruckten Programm die erste Hälfte beschloss, Nancy Zhou, Ye-Eun Choi und Noa Wildschut jede für einen Satz den zweiten Solopart übernahmen, wussten sie sich spieltechnisch gut zu behaupten. Die einen solch großen Saal füllende Bühnenpräsenz Mutters ging ihnen freilich noch ab, ebenso wie all die effektvoll-extrovertierte Virtuosengestik ihrer Lehrerin.
Das Warten des Publikums auf Vivaldi wurde nach der Pause belohnt. Dem tosenden Jubel am Ende nach zu urteilen, kam das Publikum voll auf seine Kosten. Dem Vergnügen der Eingängigkeit weiter Teile von Vivaldis Klassiker kann man sich schwerlich entziehen, auch wenn das Gesamtopus mit seinen vier Teilkonzerten in toto aufgeführt doch die eine oder andere Länge nicht verbergen vermag.
Man hätte die beiden Besonderheiten des Abends, Pendereckis Duo Concertante genauso wie Previns Nonet, gerne ein zweites Mal gehört. Und vor allem lauter. Die Usher Hall zählt seit ihrem Umbau 1914 etwa 2200 Plätze. Ein Saal mit feiner Akustik, in dem das Publikum durch die steilen Ränge zudem deutlich näher an der Bühne platziert ist als in vergleichbar platzreichen Sälen wie der Berliner Philharmonie. Aber dennoch war ein Problem des Abends nicht zu überhören: Wie üblich bei Künstlern vom Renommee einer Anne-Sophie Mutter wird in den ganz großen Häusern gespielt. Die Usher Hall hat fast doppelt so viele Plätze wie der Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Und dieser ist schon enorm groß, wenn unten zwei, drei oder vier Streicher spielen. Viele leise Stellen waren im mittleren Parkett schon schlicht sehr leise. Manche zu leise.
Schade war auch, dass ausgerechnet ein Satz aus dem allseits omnipräsenten Vivaldi als Zugabe wiederholt wurde und nicht etwa der delikate zweite Satz des Nonet von Previn, den außer den Beteiligten doch noch niemand zuvor gehört hat. Was einen zurückbringt zur Eintrittskarte und dem eigentlichen Star des Abends. Wenig überraschend wuchs der Applaus merklich mit der Bekanntheit der Stücke. Passend war dann auch die zweite Zugabe gewählt, eine in der beginnenden Unruhe der ersten, sofort mit Abpfiff gen Parkplatz eilenden Zuhörer erstaunlich zart und anmutig interpretierten Fassung von Bachs Evergreen Air aus der Orchestersuite Nr. 3 D-Dur BWV 1068.