Ein Schuss Überschwang, und zwar einer zu viel des normalerweise sonst bloß Guten. Ausnahmsweise mal nicht Jauchzen und Frohlocken, denn da ist noch mehr: Es rieselt nun leise Musik.
Sanfter Swing und jauchzend jubelnder, nein, ebenso gelassener Jazz tut gut und beschwingt die Seele. Ob es dabei um Dornenwälder oder Tannenbäume geht, ob Gitarre oder Klavier, Eddie Nünning oder das Vince Guaraldi Trio schaffen es, das Advents- sowie das Weihnachtslied mit leichten, lockeren Harmonien und einer entspannten Atmosphäre zu ummanteln. Dazu ein knisterndes Kaminfeuer und warme Wollsocken.
Komm, komm!
Der Text ist uralt, er geht auf eine Paraphrase der O-Antiphone, also dem Wechselgesang in der Kirchenmusik am 23. Dezember, zurück. “O come, O come Emmanuel/ God Rest Ye Merry Gentlemen” ist eine Mischung aus dem alten Adventslied und einem traditionell englischen Weihnachtslied, dessen Text und Melodie aus dem 18. Jahrhundert stammen. Langsam und getragen beginnend steigert sich das Lied nach Einsatz des Dudelsacks und der Trommel, begleitet von einem ständigen Bordun, in Freude und Ausgelassenheit. Die Melodie, die in der Molltonart doch recht froh und bestimmt wirkt, geht nahtlos in die andere über – die beiden Lieder verschmelzen miteinander, wie ein tauender Schneemann.
Die schwedische Variante “Veni, veni Emmanuel (O Come, o come Emmanuel)” folgt einem ähnlichen Muster. Am Anfang steht ein langsamer, vierstimmiger a-cappella Chorsatz. Es kommen Violine und Orgel hinzu und das Ganze steigert sich in geradezu ekstatische Ausbrüche unter dem Ausruf „Veni!“ und einer dröhnenden Mixtur.
angel by Nikolaj Potanin (CC)
Zwischen goldenen Engelein und „Susanni, susanni“
Weiter geht’s mit Chormusik. “Jesus child” droht, mit sanften Streichern, Holzbläsern und Harfe in eine rosa Kitschwolke einzuhüllen, die glockenhellen Soprane machen es nicht besser. Allerdings stellt John Rutter dem Kitsch den markanten Rhythmus und das Tempo entgegen, sodass man am Schluss in einem leicht rosa Nebel und mit verwehtem Plätzchenduft in der Nase zurückbleibt.
Weihnachtssalat
Nein, der Weihnachtsbraten wird nicht durch einen grünen Kopfsalat ersetzt. Ensalada kommt aus dem Katalanischen und bedeutet zwar „Mischmasch“ und „Salat“, aber es geht hier um eine spanische Musikform aus der Renaissance. Obwohl sie auf den ersten Blick nichts damit zu tun haben — “La Justa” bedeutet „Wettkampf“, „Turnier“ und “La Bomba” heißt „Pumpe“ — wurden die Ensaladas von Kantoren zusammengetragen, um Weihnachten zu feiern. Ein bunter Mix herrscht hier aber trotzdem: Ob verschiedene Sprachen, Typen, Texturen und bekannte oder unbekannte Melodien.
Frisch gebacken
Das Album der nächsten beiden Stücke ist gerade erst neu erschienen. Darauf reist das Weltmusikquartett Quadro Nuevo zusammen mit den Münchner Symphonikern zu dem räumlichen Ursprung der Weihnachtsgeschichte. Sie platzieren das Adventslied von Martin Luther zwischen improvisierenden Virtuosen und klassischem Orchesterklang, irgendwo zwischen Abend- und Morgenland. Ebenso der Abendsegen von Engelbert Humperdinck aus der spätromantischen Oper „Hänsel und Gretel“: Die schlichte Melodie ertönt zwischen Waldhörnern und Oboe, begleitet mal von Streichern, mal von Harfe, mal von Akkordeon. Oder sie weicht der improvisierenden Klarinette, die allerdings nie ohne warmen, filigranen Streicherteppich erscheint. Die Übergänge sind mühelos und schwerelos – wie auch das Thema, das am Ende des Stückes in den Himmel entschwindet.
Doppelgemoppel
Zu guter Letzt wird am 25. Dezember mehr als nur ein Fest gefeiert. Neben dem ersten Weihnachtstag beginnt an diesem Datum auch Chanukka, das jüdische Lichterfest, was bis zum 1. Januar andauert. Welcher Song eignet sich da besser als “Tochter Zion“, der in der christlichen sowie in der jüdischen Kultur in dieser Zeit gesungen wird. Georg Friedrich Händels Chorsätze aus den Oratorien „Joshua“ und „Judas Maccabäus“ liegen dem Adventslied zugrunde, die der evangelische Theologe Friedrich Heinrich Ranke 1820 in Erlangen umgetextet hat.