Adolphe Sax erfand das Saxophon 1840, weil es seiner Meinung nach ein Holzblasinstrument geben müsse, welches auch in den tiefen Tonlagen voll und sanft klingt. Ein neues Instrument sollte her, das ohne Probleme für Marschmusiken und von Militärkapellen eingesetzt werden konnte. Beim Konzert des Alliage Quintetts zusammen mit Sabine Meyer ist von dieser Idee nichts mehr zu spüren – der Fokus liegt auf der klassischen Musik.
Obwohl man Saxophone heutzutage zuallererst mit Jazzmusik und vielleicht auch mit dem ein oder anderen schwülstigen 80er-Jahre-Rocksolo verbindet, erinnert der Klang des Instruments gelegentlich auch an Streichinstrumente. Es ist also nicht verwunderlich, dass man sich beim Konzert des Alliage Quintetts häufig an die Klänge einer Violine oder eines Cellos erinnert fühlt – sind doch auch die Holzblasinstrumente in der Besetzung von Sopran bis Bariton einem Streichquartett nachempfunden. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es fünf Holzbläser und ein Klavier schaffen, nicht nur nach einem kammermusizierenden Streichensemble zu klingen, sondern auch nach einem großen Orchester, das mehrere Instrumentengruppen in sich vereint.
Schon eine Stunde vor dem Konzert tummeln sich trotz des blauen Himmels, der einen baldigen Frühling erhoffen lässt, die ersten Besucher im Foyer des Düsseldorfer Robert-Schumann-Saals. Das Konzert des Alliage Quintetts, welches auf den aktuellen Konzertreisen von der renommierten Soloklarinettistin Sabine Meyer unterstützt wird, ist gut besucht. Schließlich spielen die sechs Musiker das letzte Konzert ihrer aktuellen Deutschlandtournee in der Rheinstadt, bevor sie sich für eine mehrwöchige Konzertreise nach Australien begeben.
Die Stückauswahl wirkt zunächst beliebig. Auf den ersten Blick scheint keine Verbindung zwischen Igor Strawinskys Feuervogel, Paul Dukas Zauberlehrling und den Polowetzer Tänzen vom russischen Komponisten Alexander Borodin zu bestehen. Spätestens nach dem Lesen des Programmhefts wird aber klar, dass sich alle an diesem Nachmittag gespielten Werke auf ein Literaturwerk beziehen oder die musikalische Abwandlung eines solchen sind. Damit Literatur auch ihre gewünschte Wirkung erzielt, braucht sie die richtigen Worte – bei den Musikstücken fehlen diese allerdings. Die Fantasie des Zuhörers spielt also eine wesentliche Rolle beim Hören der dargebotenen Musik, deshalb auch der Programmuntertitel „Fantasia“.
Bei einer spannungsgeladenen Version von Igor Strawinskys Feuervogel können die Musiker am Besten beweisen, was die Musik des Alliage Quintett so besonders macht. Die Darbietung zeigt, warum sich gerade dieses Ensemble nicht nur durch die Hinzunahme eines Klaviers von all den anderen Saxophonquartetten unterscheidet. Für die Ballettmusik sah Strawinsky typischerweise einen kompletten Streicherapparat, mehrere Bläsergruppen und sogar Schlagwerker vor. In 45 Minuten fügt er komplexe Rhythmik, sperrige Dissonanzen und harmonische Tonsphären zusammen. Keineswegs hatte Strawinsky das opulente Werk geschrieben, damit es von fünf Holzbläser und einem Klavier interpretiert werden kann. Doch was unmöglich scheint, gelingt ausgezeichnet. Beim Alliage Quintett können Alt-und Tenorsaxophone poltern und knallen wie Pauken und Becken, darf das Baritonsaxophon grummeln wie ein Kontrabass und übernimmt das Sopransaxophon mit scheinbarer Leichtigkeit Takte, die eigentlich für eine Oboe oder eine Querflöte geschrieben wurden.
Nicht nur beim Zusammenspiel als vollständiges Ensemble können die Musiker überzeugen. Bei Dmitri Schostakowitschs Fünf Stücken, eigentlich für zwei Violinen und ein Klavier geschrieben, kann das Ensemble auch in kleineren Trios brillieren. So reizt bei der Elegie Sebastian Pottmeier am Baritonsaxophon mit singendem Vibrato den träumerischen Charakter des Stückes vollends aus, während sich Sopransaxophonist Daniel Gauthier und Sabine Meyer bei der Polka mit Kraft und Inbrunst Phrasen entgegenwerfen, bei denen sich Andere nur die Finger verknoten würden. Auch Jang Eun Bar am Klavier sorgt dafür, dass die Stücke den Charakter des originalen Musikwerkes widerspiegeln: mal sanft und anschmiegsam, danach wieder frohlockend und voller Elan.
Nachdem sich das letzte Stück des Konzertabends, die Polowetzer Tänze von Alexander Borodin, direkt nach dem ersten Erklingen des Hauptthemas im Ohr der Zuschauer festgesetzt hat, ist es nicht verwunderlich, dass Sabine Meyer und das Quintett nur nach einer Zugabe den Saal verlassen dürfen.
Diese schafft es dann, ein Grinsen in das Gesicht und einen beschwingten Takt in die Füße der Zuschauer zu zaubern. Mit America aus der West Side Story wird Schwere abgeworfen, das Stück wird regelrecht zelebriert. Auch die Gedanken daran, dass da nur sechs Musiker auf der Bühne stehen und es sich dabei ausschließlich um ein Klavier und Instrumente aus der Holzbläserfamilie handelt, verschwindet. Was bleibt, ist pure Freude und das Wissen, dass Saxophone viel mehr können, als ihnen manchmal nachgesagt wird.
Über das Alliage Quintett
„Alliage“ entspringt der französischen Sprache und bedeutet Legierung. Diese stellt das Alliage Quintett sinnbildlich zwischen vier Saxophonen und einem Klavier dar. Gegründet wurde das Ensemble vom kanadischen Sopransaxophonisten Daniel Gauthier. Seit 2005 haben die fünf Musiker fünf CDs veröffentlicht und zweimal den Echo Klassik gewonnen. Mit dem aktuellen Programm „Fantasia“ tourt das Quintett, unterstützt durch Sabine Meyer seit 2016 durch Europa.
Daniel Gauthier – Sopransaxophon
Hayrapet Arakelyan – Altsaxophon
Simon Hanrath – Tenorsaxophon
Sebastian Pottmeier – Baritonsaxophon
Jang Eun Bae – Klavier
Über Sabine Meyer:
Sabine Meyer zählt im Moment zu den renommiertesten klassischen Soloklarinettistinnen. Ihre Musikerlaufbahn begann sie als Mitglied im Sinfonieorchester des Bayrischen Rundfunks, welches sie als Sprungbrett für weitere Solo-und Kammermusikprojekte nutzte. Obwohl ihr die Kammermusik ganz besonders am Herzen liegt, arbeitete sie unter anderem auch schon mit dem Jazzklarinettisten Michael Riessler und unzähligen internationalen Orchestern zusammen. Momentan ist sie Mitglied der Akademie der Künste Hamburg und hat eine Professur an der Lübecker Hochschule für Musik inne.
Foto-Credits:
Alliage Quintett © Ira Weinrauch / www.weinrauch-fotografie.de