Gedankenstromlogorrhoe?

Darum geht es in Elfriede Jelineks Text zu “Kein Licht.”

Die Grundlage zu „Kein Licht.“ sei, so formuliert es Regisseur Nicolas Stemann, „der abstrakteste Text“, den er von Elfriede Jelinek kenne, der Begriff „Dialog“ für das Geschriebene sei „schon fast ein Euphemismus“. Caroline Peters spricht von „Gedankenströmen“, „Logorrhoe“, „unglaublicher Masse“ und „Dreidimensionalität“, Philippe Manoury in Bezug auf seinen ersten Eindruck von „undurchsichtig“ und „obskur“. Gleichzeitig schwärmen diese drei aber von „Kein Licht“, „Kein Licht: Prolog?“, „Epilog?“ und „Der Einzige, sein Eigentum“ und von der Art, wie die Autorin sich der behandelten Themen annehme.

Foto: IAEA Imagebank/flickr/wikimedia

Tatsächlich ist es nicht nur ein einzelner Text, auf dem die Produktion „Kein Licht.“ basiert. Elfriede Jelinek schrieb den Text immer weiter, hat auf ihrem Blog drei aufeinander Bezug nehmende Texte veröffentlicht: Einen im Jahr 2011 mit dem Titel „Kein Licht“, „Epilog?“ von 2012 und den dritten im Jahr 2015 unter dem Titel „Kein Licht: Prolog?“. Außerdem hat sie exklusiv für die Produktion der Oper einen dritten Text geschrieben: „Der Einzige, sein Eigentum (Hello darkness, my old friend)“, der noch unveröffentlicht ist.

Alle drei Texte basieren auf dem ersten von 2011, den Elfriede Jelinek unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima geschrieben hat. Die Texte zu der Oper “Kein Licht.” behandeln zwar das Thema Atomkraft aber gleichzeitig noch viel mehr: Wie viele Katastrophen kann die Menschheit noch aushalten? Wie gehen wir miteinander um? Wie gehen wir mit der Umwelt um? Schließlich, so der Tenor in den Texten, sind wir für Katastrophen wie Fukushima durch unsere schier unstillbare Gier nach Energie selbst verantwortlich – reagieren aber auf solche Katastrophen, wenn uns die Nachricht erreicht, nicht mit einer Änderung unseres Lebensstils, sondern machen weiter wie zuvor.

Struktur

Während in „Epilog?“ eine monologisierende Figur auftritt, die in der Unterzeile als „Trauernde“ bezeichnet wird, und deren Duktus und Rede in „Kein Licht: Prolog?“ wieder auftaucht, gibt es in „Kein Licht“ nicht so etwas wie „Figuren“. Rein formal schreibt Jelinek einen Dialog, in dem die meiste Zeit abwechselnd – an einer Stelle aber entsprechend einer Regieanweisung auch gleichzeitig – ein „A“ und „B“ sprechen. Gleichzeitig wirkt dieses „Gespräch“ aber nicht wie eine Unterhaltung, bei der die verschiedenen Sprecherparts einander ihre Gedanken mitteilen, unmittelbar auf Äußerungen des anderen reagieren und miteinander interagieren. Vielmehr ist dieser „Dialog“ mit seinen durchschnittlich sehr langen Redeblöcken der einzelnen Sprecher ein Gedankenstrom, eine Art sprachliche Assioziationskette, die auch in nur einem Kopf entstehen könnte.

Foto: Hannah Schmidt

B: […] Wir haben dieses Bedürfnis nach den Reinigungsvorgängen, die ja eigentlich auch Eliminationsvorgänge sind, nicht wahr. Wir wollen, daß etwas weg ich, was da ist. Und schon ist das mit unserer Musik passiert.

A: Ja, was da ist, soll weg, genau das nennt man ja Reinigung! Träne, reinige, marsch! Wir wollen alle gereinigt werden, ja, auch von unserem Strahlen. Sauberkeit: höchste Zeit! Wo ist der Wasserstrahl, der uns dekomponiert, determiniert, dekontaminiert, dekompostiert? Na, fertigmacht halt …

B: Wenn wir bekleidet sind, werden wir nachher schwer zu finden sein. Tatsache. Kein Arm, der uns birgt, der uns in unsrer Wiege hütet, treu bei Tag und Nacht. Schreck und Staunen wird die ergreifen, die uns finden werden. […]

"A" und "B"

Foto: Opéra Comique / Fabrice Labit
Foto: Opéra Comique / Fabrice Labit

„A“ und „B“ sprechen häufig im kollektiven „Wir“ und implizieren damit immer unterschiedliche „Gruppen“, wie möglicherweise Musiker –

A: […] Derzeit läuft die erfolgreiche Serie Staffel um Staffel […] uns läuft sie nach, um uns einzufangen, […] die letzten Musiker auf dieser Erde […]

Töne –

A/B: […] Oder ob wir selbst unsere Töne geworden sind […] vielleicht gibt es uns gar nicht, wenn wir selbst unsere eigenen Töne sind?

Instrumente –

B: […] Töne gleiten aus unseren Körpern heraus wie Wasser […]

Zeugen einer Reaktorkatastrophe –

B: In uns werden erhöhte Werte gemessen, fürchte ich.

Menschen an sich –

A: Wir sind, was einem Tier am ähnlichsten ist, wenn wir nackt sind […]

oder Elementarteilchen vor der Katastrophe –

B: […] Ja, aber strahlen werden wir. Wir werden Licht geben können! Wir werden bläulich strahlendes Licht absondern!

Foto: Opéra Comique / Fabrice Labit

Foto: Opéra Comique / Fabrice Labit

Und das Thema?

Nicht nur die „Identität“ der Sprecher ist uneindeutig, auch lässt sich nicht abgrenzen, wann wo welches Thema behandelt wird. Durch ihre Schreibweise verbindet Jelinek in „Kein Licht“ scheinbar voneinander unabhängige Gedanken zu einer Einheit. Zum Beispiel verbindet sie Musik und die zeitliche Eigenschaft von Tönen mit Atomkraft und der zeitlichen Eigenschaft des entstehenden Atommülls:

B: […] Wenn Musik Zeit ist, dann ist jetzt Halbzeit, nur sagt sie uns keiner an, sie steht auf keiner Tafel, und keiner schickt uns vom Feld, nein, die Halbwertszeit steht da nicht angeschrieben, doch wir hören ja nicht einmal die halben Töne, nicht zu verwechseln mit Halbtönen! […]

Auch menschliche Affekte und körperliche Reaktionen wie das Weinen stellt sie auf eine semantische Stufe mit technischen Affekten und systemischen Reaktionen wie das Erhitzen eines Reaktors:

A: […] Der Körper ist der Begleiter auf dem Klavier, dafür muß er schon mehr können, als einfach nur mit uns mitkommen. So begleiten wir also Gefühle mit Tränen, mit unseren heißen Tränen, die aus der Kälte kommen, aus dem Kühlkreislauf, und dann werden sie heiß. Weil dieser Kreislauf nicht mehr funktioniert.

Außerdem verbindet sie technische Wahrnehmung mit sinnlicher Wahrnehmung und dem Aspekt der Leugnung einer „Wahrheit“:

A: […] Sie hören gar nichts? Sie können eine Strahlung, ich meine ein Strahlen messen, aber nicht sehen? Sie können Töne messen, aber nicht hören? Da stimmt etwas nicht. Schauen Sie bei sich nach, ob es Feigheit ist! […]

Goethe, Schubert und die Bibel

Foto: Opéra Comique / Fabrice Labit

Durch den gesamten Text ziehen sich, mal ironisch, mal seitenhiebhaft intertextuelle Verweise und Anspielungen, beispielsweise

auf Franz Schuberts Winterreise nach einem Text von Wilhelm Müller (Müller: „Durchdringen Eis und Schnee. Mit meinen heißen Tränen“, „Tränen, meine Tränen, was seid ihr gar so lau?“, Jelinek: „mit unseren heißen Tränen“, „Tränen, meine Tränen, was seid ihr gar so laut!“),

auf Johann Wolfgang von Goethe (Gesang der Geister über den Wassern, Jelinek: „wie den Gesang böser Geister über dem Wasser“),

auf Hans Fallada (Dies Herz, das dir gehört, Jelinek: „Winde, wie süß bedrängt ihr dies Herz“),

auf Clemens Brentanos und Achim von Arnims Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn (Jelinek: „Ihr kommt, Winde, fern herüber ach, von des Knaben …“),

auf das Buddhistische Lehrwerk Wie die Dinge sind (Jelinek: „Man weiß, wo die Dinge sind.“) und

auf die Bibel (Jelinek: „Nicht in ihnen, sondern mitten unter ihnen“, Matthaeus 18:20: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“, und Jelinek: „Was man nicht sucht, wird man auch nicht finden“, Matthaeus 7:8: „Denn […] wer da sucht, der findet“).

Sprache

Mit sprachlichen Spielereien verknüpft sie die verschiedenen Themenbereiche miteinander, scheinbar zufällig oder gar ungewollt, durch so etwas wie einen Versprecher oder Verhaspler:

A: „Also meine Töne kannst du nur finden, solang mein Tonerzeugungs-Reaktor noch läuft, solang meine Turbinen noch laufen auf ihren Schleichwegen […] aber die Schöpfer, die Reaktoren, also die Reagierer, denn Schöpfer gibts keine, nur Reagierer auf etwas, das man nicht sieht, Reaktoren, die ja nicht Schöpfer sind, sondern eben auf etwas reagieren, das sagt schon der Name, egal, die habe ich bereits vor Tagen abgeschaltet.“

A: „Ich fühle, die Verschränkungen werden sofort wieder zerstört werden, unsere Musik, unser Zusammenklingen, das immer unweigerlich als ein Abklingen im Abklingbecken, äh, im Abkühlbecken zu enden scheint. Ein Klingen, das immer gleichzeitig ein Verklingen ist.“

“Kein Licht” bekommt dadurch etwas Leichtes, manchmal sehr Lustiges, und gleichzeitig aber einen Ton, der umso ernster wird, je mehr der Text die grotesken, schrecklichen und aberwitzigen Tatsachen, die er anspricht, demonstrativ gleichgültig im Nebensatz fallen lässt.

Und weiter …

In “Kein Licht: Prolog?“ und „Epilog?“ lässt Jelinek eine von der Katastrophe Betroffene an den Ort des Geschehens zurückkehren. Diese „Trauernde“ spricht konkreter als „A“ und „B“ über das Problem, nämlich unter anderem über ihre Angst vor dem „Unsichtbaren“, der Strahlung, und dem, was sie hervorgebracht hat: der Wunsch nach Licht, weil „wir mit der Sonne allein“ nicht „zufrieden gewesen“ seien. Der noch unveröffentlichte Text „Der Einzige, sein Eigentum“ thematisiert Donald Trump und seinen Weg zum „König“.

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Atomkraft? Nein Nein!

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